8.5.17


Vor ein paar Tagen nahm ich zufällig an einer Veranstaltung teil, in der das DISG-Modell vorgestellt wurde. Es handelt es sich um ein Modell zur Beschreibung von Verhaltensmustern, das im Bereich der Personalführung und Personalentwicklung eingesetzt werden kann. Das Modell reduziert menschliche Verhaltensstile auf vier Grundtypen: Dominant, Initiativ, Stetig und Gewissenhaft. Diese werden meist mit vier Farben verknüpft, allerdings nicht eindeutig, wie die Google-Suche verrät. Manchmal steht rot für den dominanten Typ, manchmal ist es grün. Mit dem Modell soll man zum Beispiel Arbeitsgruppen optimal zusammensetzen können. Jede Gruppe sollte nämlich alle vier DISG-Persönlichkeitsprofile enthalten, der besseren Arbeitseffizienz und höheren Produktivität wegen. Sonst wollen wohl möglich alle Chef sein, zerfleischen sich gegenseitig und gibt es keinen, der Kaffee kocht, sich unterordnet und gewissenhaft-perfektionistisch die Fehler der Dominanten und Initiativen ausbügelt.

Damit Führungskräfte und Leiter von irgendwas ihre Mitarbeiter in diese vier Schubladen stecken können, gibt es allerlei Persönlichkeitstest-Klimbim und Materialien, die auch ohne Vorkenntnisse leicht zu verstehen sind. In der Regel präsentiert von zertifizierten Trainern. Es bleibt dann nur zu hoffen, dass Ihr Chef nicht im gleichen Seminar war und Sie in die Schublade stetig oder in die Schublade gewissenhaft gesteckt hat. Dann wird das nämlich nichts mit Ihrer neuen Teamleitung. Nun, Sie merken, ich halte nichts von diesem Modell. Ich habe mich im Studium etwas intensiver mit Typologien von Charakterstrukturen beschäftigt und mich faszinierten damals diese Abstraktionen und Reduktionen auf bestimmte Grundtypen. Deswegen bin ich immer neugierig, wenn ich eine weitere Typologie entdecke und es interessiert mich natürlich auch, was die Trainer ihren Teilnehmern dazu vermitteln.

Warum das DISG-Modell bei mir verloren hat

In der Zeit, in der ich einige Semester Gesellschaftswissenschaften studierte, schrieb ich eine Seminararbeit zu Charakter-Typologien. Neben den klassischen Temperamenten war die Typologie von Riemann, die er in seinem Buch Grundformen der Angst vorstellt, ein zentraler Bestandteil meiner Arbeit. Riemann unterscheidet vier Charakterstrukturen, oder besser formuliert, Verhaltensstile. Schizoid, depressiv, zwanghaft und hysterisch. Diese sind bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Die Essenz des Buches ist, sich selbst über das am stärksten ausgeprägteste Verhaltensmuster klar zu werden, um sich dann den anderen Verhaltensstilen zu nähern. Zum Beispiel weg vom Zwanghaften mit der Grundangst vor Veränderung und hin zu etwas mehr Wandel. Oder weg vom Einzelgängertum mit der Grundangst vor Nähe und hin zu etwas mehr zwischenmenschlichem Kontakt. Einen Überblick über diese Typologie gibt es hier und da und dort oder eben im Buch selbst, das auch in 2013 noch unbedingt lesenswert ist, aber vermutlich viele von Ihnen schon kennen. Sehr spannend fand ich dieses Modell damals als Student, verstand ich doch mich selbst etwas mehr und dazu meine unstet-überschwengliche Nachbarin noch viel mehr.
Zusätzlich zur Seminararbeit musste ein Vortrag darüber im Seminar gehalten werden, mit Thesenpapier als Tischvorlage und anschließender Diskussion. Beides war mir als jungem Nerd, der Gesellschaftswissenschaften nur nebenbei studierte, ziemlich fremd. Zudem waren in diesem Soziologie-Seminar einige gestandene Soziologie-Student/innen – Sie wissen schon, diese Vollblut-Soziologen, die Max Weber, Bourdieu, Habermas und Marx auswendig zitieren können und nicht mit Fremdworten und Schachtelsätzen geizen. Eine dieser Studentinnen – ich glaube sie fand mich sogar ganz nett und wollte mich sicher nicht absichtlich in Verlegenheit bringen – stellte nach meinem Vortrag die erste Frage. Ob es nicht unzulässige Gewalt sei, die man Menschen antut, indem man Sie einfach auf vier Charaktertypen reduziere. Das begünstige doch sehr das Schubladendenken. Und, sei nicht jede Typologie eine Form von Gewalt?

Stellen Sie einem IT-Nerd Anfang 20, der sich hauptsächlich mit grafischen Daten und Computern beschäftigt, diese Fragen. Vermutlich habe ich wie ein Auto geschaut. Ich war überrumpelt, denn über diesen Aspekt hatte ich nie nachgedacht. Die Seminargruppe war, zusammen mit dem Dozenten, der Meinung, dass es sich um ein Modell handelt und Modelle nur mit Abstraktion und Reduktion funktionieren. Solange das Modell als Werkzeug zum besseren Verständnis der Mitmenschen und zur Selbsterkenntnis verwendet werde, sei es keine Gewalt. Wenn es darüber hinaus verwendet werde und eine Klassifizierung einen ganz anderen Zweck verfolge, sei es durchaus eine Form von Gewalt. Mit dieser Anschauung konnte ich gut mitgehen.

Insgesamt kam mein Seminarvortrag ganz gut an und Charaktertypologien beschäftigten mich auch in der Folgezeit noch. Nach diesen Erkundungen und Erkenntnissen und ein bißchen NLP war das Psycho-Thema dann jedoch für mich erledigt. Viele Jahre später traf ich auf das DISG-Modell im Zusammenhang mit Personalentwicklung und Arbeitsgruppenzusammensetzung. Interessant, erinnerte es mich doch gleich an mein altes Thema der Charaktertypologien aus dem Studium. Ein DISG-Test wurde uns vorgestellt, den wir mit uns selbst sowie mit Mitarbeitern, Studenten oder Azubis machen könnten. Jeder sollte selbst seinen DISG-Typ ermitteln. Eigene Arbeitsgruppen könnten wir ja so bilden, das alle Typen vertreten sind, jetzt, wo jeder seinen DISG-Typ kenne...
What the fuck, ich lege mich doch nicht selbst in eine von diesen vier abstrakt reduzierten – und damit auch subjektiv zusammengezimmerten – Schubladen. Und ich wünsche auch nicht, dort hineingelegt zu werden, erst recht nicht von wenig intellektuell beleckten Personalleuten. Schnell hatte ich diese spezielle Frage der Soziologiestudentin im Kopf. Diese Frage, die mir viele Jahre zuvor als wie vom anderen Stern vorkam. Ja, hier war sie plötzlich zur Gewalt geworden, die Typologie. Klassifizierung, nicht primär des besseren Verständnisses oder der Selbsterkenntnis wegen, sondern aus übergeordneten, äußeren Zwecken, aus Effizienz- und Produktivitätsgründen. Sofort hatte dieses DISG-Modell für mich verloren.

Um nicht missverstanden zu werden. Für jedes Projekt braucht es dominante Macher, initiative Marketingleute und ein stetig und gewissenhaft arbeitendes Backoffice. Das findet sich intuitiv mit Menschenkenntnis, Sympathie und ganz ohne die technokratische Klassifizierung der Akteure nach Typologien und Modellen wie DISG. Und diese Intuition und Menschenkenntnis braucht Erfahrung, die es manchmal nur mit Fehlversuchen gibt. Es ist jedoch allemal besser als die Akteure nach Persönlichkeitstests zusammenzusetzen, aus jeder Schublade einer. Typologien dienen im günstigen Fall der Selbsterkenntnis und dem besseren Verständnis für das Verhalten anderer. Wird mit der Klassifizierung menschlicher Eigenheiten hingegen ein ganz anderes, meist übergeordnetes Ziel verfolgt, wird es problematisch und erfordert Wachsamkeit. Geben Sie also Acht, mit welchen Werkzeugen Sie sich umgeben.

Wehret den Anfängen.

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